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Yoga und die nicht-taktile Nähe (Teil 2)

Veröffentlicht am 01.05.2020

Meditationstradition Yoga

Meditation kann sprachlich für Vertiefung, Versenkung, Betrachtung, Einkehr, Besinnung, Sammlung, Selbstbesinnung oder tiefes Nachdenken stehen. Meditation ist eine bewusste und gerichtete geistige Aktivität. Unser Geist nimmt wahr, lernt, erinnert, denkt, bewertet und plant. Yoga nutzt Körper-, Atem- und mentalen Übungen zur Geistesschulung. Der Geist kann den Körper beeinflussen und der Körper den Geist*. Dieses Vorgehen passt gut zu modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Begriffe wie Körper-Erleben, Körper- Erfahrung, Körper-Schema, Körper-Gedächtnis oder Körper-Bild werden heute in Psychologie, Pädagogik, Kultur- und Neurowissenschaften genutzt. Unser Körper ist ein Archiv für all unsere Erfahrungen, auch für die vorsprachlichen aus früher Kindheit. Es ist bekannt, dass unser autobiographisches Gedächtnis über die mit den Ereignissen verknüpften Körperempfindungen aktiviert werden kann.

Das Yoga Sūtra des Patañjali (YS) nennt viele Meditationsobjekte: z.B. Sonne (YS 3.26) und Mond (YS 3.27), Freundlichkeit (YS 3.23), die Kraft eines Elefanten (YS 3.24), Prozesse der Veränderung (YS 3.16), unsere eigenen Reaktionsmuster und Gewohnheiten (YS 3.18) oder ganz allgemein formuliert einen Gegenstand, eine Frage oder ein Konzept (YS 1.2).

Meditativ kann sich innere Verbundenheit, Nähe und ein tiefes Verstehen entwickeln. Tief bedeutet, es wurde auf ganz persönliche Art rational, emotional und körperlich verstanden. Verinnerlichtes Wissen kann auf diese Art bewusst entwickelt werden. Es sind Zustände einer vollkommenen Verschmelzung und gefühlten Einheit mit dem Meditationsobjekt beschrieben. Meditation kann als Technik zum Entwickeln nicht-taktiler Nähe verstanden werden. Schritte dabei sind: bewusst ein Thema wählen, die Aufmerksamkeit lenken, sich berühren lassen, sich verbinden, verinnerlichen und verstehen. Dafür bedarf es professioneller persönlicher Begleitung.

* Unsere Kategorien Geist und Körper, Seele und Leib, psychisch und körperlich kommen aus unserer dualistischen Denktradition. Zwei Grundprinzipien des Seins stehen sich dabei gegenüber. Unsere Sprache hinkt unseren heutigen Erkenntnissen hinterher. “Das ist rein psychisch“, ist so nicht korrekt. Unsere psychischen Prozesse haben eine körperliche Entsprechung. Körperliche Prozesse, z.B. neuronale Verknüpfungen im Hirn, sind flexibler als bisher angenommen und reagieren auf Erfahrungen. Sprache, Denken, Fühlen und Handeln haben Einfluss auf unsere Nervenzellen im Hirn. Noch fehlen kurze und prägnante Worte für diese feinen Unterscheidungen. Zwar drückt der zusammengeschriebene Begriff Psychosomatik es aus, aber in der Medizin spricht man weiterhin von psychischen Erkrankungen. Es ist eine pragmatische Unterscheidung (keine wissenschaftliche) zwischen Erkrankungen, wie z.B. einem Beinbruch (der operiert oder gegipst wird) und anderen, z.B. einer Angsterkrankung, die weniger organisch erscheinen und anders behandelt werden.

Wer mehr dazu lesen möchte, hier die Literaturempfehlung:

Über Freiheit und Meditation, Das Yoga Sūtra des Patañjali, Verlag Via Nova, 6. Auflage 2014

Körperpsychotherapie, Grundriss einer Theorie, Ulrich Geuter, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015