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Selbstverbiegung

Veröffentlicht am 22.04.2021

Fotoserie der ungarische Künstlerin Csilla Klenyánszki im Süddeutsche Zeitung Magazin vom 26.März 2021

 

Das Magazin titelt „Selbstverbiegung“ und weiter unten „Hausarbeit nervt, Yoga macht Spaß. Was passiert, wenn man beides gleichzeitig macht?“. Das Cover zeigt vier Bilder einer jungen Frau in Yogahaltungen mit Putzmitteln, Wischmopp, Wäschekorb und einer Gießkanne. Auf Seite 16 sind weitere Fotos zu sehen: Fensterputzen in Matsyendrāsana, Vajrāsana auf dem Mülleiner, Halāsana mit Bügelbrett und Śavāsana fast begraben unter Töpfen. Die Bilder sind Werke der ungarische Künstlerin Csilla Klenyánszki. Die Schwarz-Weiß-Fotos vermitteln Ruhe und Konzentration, Schönheit, körperliche Kraft und Flexibilität in anspruchsvollen (nicht immer gesunden) Ᾱsana. Die Gegenstände zum Hausputz im Bild wirken auf den ersten Blick vielleicht absurd, auf den zweiten ergeben sie Sinn. Sie sind realistisch mit einem touch Ironie.  Selbstverbiegung zur Selbstoptimierung, wortwörtlich und im übertragenen Sinn, wurde gekonnt ins Bild gesetzt.

Der gesellschaftliche Anspruch alles locker bewältigen zu können, wird im begleitenden Text thematisiert. Der Artikel verweist auf die Tatsache, dass Frauen fast doppelt so viel Sorge- und Hausarbeit verrichten als Männer. Gender care gap ist der zeitgemäße Begriff dafür.  Um in Haushalt, Job und Freizeit perfekt zu sein, soll Yoga helfen.  Keine Zeit? Kein Problem. Multitasking ist die Fähigkeit, die Frauen zugeschrieben wird.

Die innere Motivation, die zum Yoga führt, ist privat, aber auch vom Zeitgeist bestimmt.

In alten Yoga-Texten geht es darum, mittels Yoga besondere Fähigkeiten zu erlangen.  Die nach heutigen Erkenntnissen älteste Schrift ist die Amṛtasiddi aus dem 11. Jahrhundert. Schon der Titel "Die Erlangung des Nektars der Unsterblichkeit" weist auf die Motivation. In der Haṭhapradȋpikā, einer Yogaschrift aus dem 15. Jahrhundert, werden bestimmte Ᾱsana zum Besiegen von Krankheiten aufgeführt. Gesundheitliche Aspekte, aber auch andere positive Effekte auf den Körper und die Ausstrahlung werden geschildert. "Der Erfolg im haṭha zeigt sich an Schlankheit, strahlendem Gesicht, Klarheit der Stimme, Freiheit von Krankheit..." (1)

Wie ist es heute? Stars, wie Madonna, Demi More oder Daniel Craig haben Yoga für sich entdeckt. Schön, fit, gelassen und reich werden mit Yoga (und Yogaklamotten), ist die Botschaft. Yoga als Schlüssel zum Erfolg verkauft sich gut.

Yoga ist in den 20iger Jahren des 21. Jahrhunderts mitten in unserem Leben angekommen. Yoga wird genutzt zur persönlichen Weiterentwicklung, um belastbarer zu werden, sich für den stressigen Alltag zu rüsten, weniger gesundheitliche Beschwerden zu haben, Spiritualität in den Alltag zu bringen, gesünder und schöner zu werden oder abzunehmen.  Yogahaltungen während der Hausarbeit erscheinen da folgerichtig. Multitasking, um nichts zu verpassen und niemanden zu enttäuschen.  Jedoch Multitasking und Yoga passen nicht gut zusammen.  

Im Yoga Sūtra wird Yoga als eine besondere Geistesaktivität definiert und das Ziel des Yoga beschrieben. T.K.V. Desikachar definiert es folgendermaßen: „Yoga ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand, eine Frage oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen.“ (2) Vairâgya, die Fähigkeit, etwas lassen, loslassen und aufgeben zu können, ist ein anderer Begriff, um Yoga zu beschreiben. Ablenkungen und Gewohnheiten werden gelassen, da etwas anderes an ihre Stelle getreten ist. Dem Strom eines Flusses zuschauen, ohne gleich mitschwimmen zu müssen.  Und dieses Verweilen ohne Ablenkung, auch wenn es nur ein wenig in diese Richtung geht, ist der Yogazustand, der „Spaß macht“.

Und damit zurück zum Ausgangspunkt des Artikels:

„Hausarbeit nervt, Yoga macht Spaß. Was passiert, wenn man beides gleichzeitig macht?“. Erstmal kein Yoga. Oder etwa doch? Hausarbeit wird auf den Fotos jedenfalls auch nicht verrichtet:-).

Danke Frau Csilla Klenyánszki für diese Fotos!

Dank auch meinem aufmerksamen Kollegen, der mir das Magazin gab.

 

(1) VIVEKA, Hefte für Yoga, Heft 57, S. 23

(2) Über Freiheit und Meditation, Das Yoga Sūtra des Patañjali, S. 22, Verlag Via Nova, 6. Auflage 2014